Schöne Fleisch- und Wurstwaren


 

Das Telefon klingelte in unserer kleinen Pension in Nesselwang im Allgäu. Ich hörte es aus der Entfernung. Meine Mutter hob ab und ich hörte sie nur sagen:
"Aber Frau Hartmann, das fragt man doch nicht!... Also gut, ich komme zu Ihnen, am Telefon möchte ich so was nicht besprechen!"
...zog sich den Mantel an, die Stiefel und ging los, den Berg hinunter in das kleine Bergdorf Nesselwang im Allgäu.

Das war so 1967 etwa!

Schon nach 5 Minuten war sie zurück, mit rotem Kopf von der Anstrengung, den steilen Fußweg hinunter ins Dorf! -( "Wir sind kein Dorf, wir sind eine große Marktgemeinde", höre ich heute noch meinen Oberlehrer Rudolf Weimann sagen!)

Sie kam mit Käthe Suin de B. einer alten Freundin, gleichaltrig wie meine Mutter und auch aus der Zone in den Westen geschickt. Ihr Mann war Major im Ruhestand mit Wohnsitz in Nesselwang, aber am anderen Ende.

Käthe lachte lauthals. "Dass Du darauf reingefallen bist! Herrlich, ich wollte ja gleich auflegen, weil ich mir das Lachen nicht verkneifen konnte. Aber dass Du gleich loslaufen wolltest, das hätte ich nie erwartet. Ein Glück, dass ich aus der Telefonzelle an der Post angerufen habe, da konnte ich Dich noch abpassen, bevor Du zu Frau Hartmann in den Laden gekommen wärst!"

Käthe hatte angerufen, sich mit falschem Namen gemeldet, wie die Fleischerfrau, die häufig den Daumen mit auf die Waagschale gelegt hatte und freundlich gefragt: "Darf es etwas mehr sein?"

"Hier ist Frau Hartmann, Schöne Fleisch- und Wurstwaren! Frau Schmidt, warum kaufen Sie denn nicht mehr bei mir? Sind Sie nicht zufrieden mit meinen guten Waren?"

"Aber Frau Hartmann, so was fragt man doch nicht!... Also gut, ich komme zu Ihnen, am Telefon möchte ich so was nicht besprechen !" (Daumen auf die Waagschale legen...)

Vor Lachen hatte Käthe auflegen müssen - aber auch der Schrecken, dass nun das Flotte Lottchen den Berg hinunterläuft, zu Frau Hartmann in den Fleischerladen stürzt um sie zur Rede zu stellen, warum sie angerufen habe und dass sie nicht mehr Kunde sei, weil ihr der Daumen auf der Waagschale nicht gepasst habe, das hatte Käthe doch überlegen lassen und so ging sie der Freundin entgegen. Sie lachte glücklich, dass ihr dieser Streich so gut gelungen war. Meine Mutter fand das zunächst gar nicht lustig, hatte sich noch über Frau Hartmann geärgert, die gar nichts davon wusste.

Diese schöne Anekdote liegt nun schon fast 40 Jahre zurück. Die beiden Telefonpartnerinnen haben jeweils das 90. Lebensjahr vollendet und Frau Hartmann liegt schon viele Jahre an der Friedhofsmauer von Nesselwang begraben.


Aufgeschrieben von Siegfried Schmidt im Dezember 2003

-1965 bis 1984 in Nesselwang (Allgäu) im Exil lebend, da 1953 von der DDR zwangsausgewiesen aus dem Kreis Rügen in der "STASI AKTION ROSE"







 

 

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